Re:publica23: Knietief im Dispo

Letztes Jahr war Weltuntergang, dieses Jahr ging es um Cash, Zahlungsmittel, Nervus Rerum, Bims, Flocken, Patte, Flöhe, Kies, Knete, Kohle, Kröten, Lappen, Marie, Mäuse. Moos, Peseten, Piepen, Pulver, Schotter, Steine, Zaster aber auch um Asche, Bares, Eier, Heu, Knöpfe, Moneten und Penunze. Jedenfalls hätte es darum gehen sollen.

Aber irgendwie hat sich das Thema im Programm nicht so recht durchgesetzt. Klar gabs Beiträge dazu, aber so richtig?

Na gut, da gab es ein Gespräch mit Marlene Engelhorn, dass ich allerdings nicht so recht verstanden habe. Sie vertritt linke Positionen, obwohl sie sehr reich ist. So wie Giangiacomo Feltrinelli (Verleger mit Pistolenverleih) oder Patty Hearst (Erbin und Chefgeisel). Oder Che Guevara, oder Friedrich Engels, oder noch Tausende von anderen. Ihr Argument ist, dass Reiche höher besteuert werden sollten. Aber, solange das nicht der Fall ist, will sie auch nicht ihr Vermögen stiften. Weil das würde ja das bestehende Wohltätigkeitssystem bestätigen. Das stimmt zwar, hat aber auch den Nebeneffekt, dass das Geld nicht dort landet wo es gebraucht wird. Was ist wichtiger, das Prinzip in Frage zu stellen (aber dabei weiter reich zu bleiben) oder das Geld in den Händen der Bedürftigen? Gleichwohl, eine junge Reiche, die kritische Sachen sagt kommt anscheinend gut an. Stelle ich mir anstrengend vor, diese Position zu verteidigen, aber Marlene Engelhorn ist wortgewandt und streitlustig, vielleicht findet sie es ja strustig (TM).

Ein weiterer Pseudobeitrag war das Gespräch mit Herrn Lindner. Nun ist der ja schon ausreichend beschrieben worden und schnarrt nasal mit seiner Stimme, die mehr FDP ausdrückt, als die damit ausgesprochenen Worte, durch so ein Gespräch mit Geraldine de Bastion und Andreas Gebhardt. Die beiden geben sich redlich Mühe, aber am Ende kommt nichts heraus. Der Lindner ist sich selbst treu, die re:publica bedient einen dankbaren Teil ihres Stammpublikums mit ein paar Forderungen und Fragen. U.A. der von Frau Engelhorn ausgerichteten, warum denn die Übertragung von Unternehmen als Schlupfloch für die Erbschaftssteuer nicht geschlossen würde. Herr Lindner antwortet so, wie es Engelhorn vorhergesagt hat: er beklagt die Bedrohung für die kleinen Handwerksbetriebe… und ignoriert die Konzerne in Familienhand, die unter demselben Dach vererbt werden.

Auf die Gefahr hin, mich noch unbeliebter zu machen: mir hat eine Steuer die bereits Versteuertes erneut versteuert noch nie eingeleuchtet. So wie die Erbschaftssteuer, die Vermögenssteuer und weitere. Was mir allerdings auch noch nie eingeleuchtet hat, ist warum wir es zulassen, dass die im Finanzmarkt vorhandene Menge Geld 600% des Bruttoinlandsproduktes beträgt. Die großen Vermögen sind (siehe Piketty) in den letzten Jahrzehnten vor Allem am Geldmarkt entstanden und der ist zu einer Größe angewachsen, die mit der Auslagerung des Risikos schon lange nichts mehr zu tun hat. Im Gegenteil, die Risiken der Kapitalmärkte werden in schöner Regelmäßigkeit vergesellschaftet, währen die Gewinne privat bleiben.

Und so geht ein ganzer erster Tag dahin, an dem die Re:publica zumindest auf Bühne 1 und zur ihrem vorgeblichen Thema nicht aus dem Quark kommt. Am Ende kommt El Hotzo, der irgendwie süß ist und ein cooles T-Shirt anhat. Aber selbst für jemand der kein erklärter Lobo-Fan ist, muss ich doch sagen dass mir der Mann mit dem Sparkassenfarbenen Iro passender erschienen wäre und zum Thema Geld eventuell sogar was schlau-lustig es (schlustiges?) gelallt hätte.

ABER es gibt ja thematische Ausreißer und weil die re:publica dieses Jahr ihren eigenen Motto nicht sehr viel zutraut, setzt schon die erste Keynote von Meredith Whittaker AI, Privacy, and the Surveillance Business Model woanders an: nämlich dabei, dass der Input den die Machines fürs Learnen brauchen eben von Menschen beigebracht wird. Von gar nicht so mechanical turks, die auch keine Türken sind, oder eben von Clickworkern auf den Philippinen oder in Afrika. Der Vortrag ist gut, die Beobachtungen scharf, die Darbietung aber so trocken, dass es kaum jemand im Publikum gelingt ohne Blick aufs Display durchzuhalten.

Oder auch Markus Beckedahls Vortrag zur Rettung des Internets. Anschauenswert, wie eigentlich immer und mit Constanze Kurtz eine der Stimmen der deutschen Netzpolitikszene die außer Gründlichkeit und Beharrlichkeit eben auch etwas von der Freude und Gesundheit der ursprünglichen Szene spürbar macht, aus der die re:public hervorgegangen sind. Das muss ohnehin mal gesagt werden: Tanja, Johnny, Markus und Andreas sind ein Gründer-Quattro, dass einfach erstaunlich gut dasteht nach dieser langen und sehr bewegten Zeit. Danke Euch dafür, dass kann nicht immer leicht sein.

Am Abend gibt es Ukrainischen Hip Hop von Alyona Alyona und tres gay Cheery-Oke, während anderswo in der Stadt Gröhlemeyer (Waldbühne) gegen Wu-Tang Klan (Waldstadion) anknödelt. Sowas nennt man wohl ein hauptstädtisches Kulturangebot.

https://re-publica.com/en/node/2928

Weitere Highlights:

Wollt Ihr ewig leben? Vom Fluch der Unsterblichkeit und Segen der Biotechnologie Wird der alte Menschheitstraum vom ewigen Leben bald wahr? Molekularbiolog:innen und Genetiker:innen verstehen den Bauplan des Lebens immer besser. Doch was hieße ein extrem langes Leben oder gar Unsterblichkeit für uns: ein Vielfaches an Lebenschancen und Erfahrungen? Oder Überbevölkerung und unendliche Langeweile? Speaker: Thomas Ramge – https://re-publica.com/de/user/2932 Weitere Informationen: https://re-publica.com//de/session/wo…

Maja Göpel wie immer hörenswert: https://re-publica.com/en/node/3140

Noch hörenswerterer: Katarina Nocun: Mit Kristallen und Klangschalen gegen die „Neue Weltordnung“ – Die Rolle der Esoterik im verschwörungsideologischen Milieu View the English translation here:    • re:publica 2023 [EN]: Katharina Nocun…   Eine Heilpraktikerin rief Demonstrierende dazu auf, den Reichtag zu stürmen. Bei der großen „Reichsbürger“-Razzia im Dezember 2022 wurde eine Astrologin festgenommen, die früher AfD-Mitglied war. Auf den Bühnen zahlreicher verschwörungsideologischer Demos sprechen regelmäßig bekannte Esoteriker. Wie kam es zu dieser Melange? Speaker: Katharina Nocun – https://re-publica.com/de/user/3376 Weitere Informationen: https://re-publica.com/de/session/mit…

Auch wieder super: Constanze Kurz: Ausmaß der Enthüllungen: 10 Jahre Snowden View the English translation here:    • re:publica 2023 [EN]: Constanze Kurz …   Dass vom größten Abhörskandal der Geheimdienstgeschichte auszugehen sei, stand schon 2013 in den Zeitungen, obwohl die Snowden-Enthüllungen noch jahrelang weitergehen sollten. Zehn Jahre später werfen wir nun einen Blick auf das Ausmaß der Spionageangriffe und auf die Konsequenzen. Was ist der Status quo bei den Geheimen und ihren Datenbergen? Speaker: Constanze Kurz – https://re-publica.com/de/user/8421 Weitere Informationen: https://re-publica.com/de/session/aus…

Obwohl ich mich jetzt so lange gleichzeitig über das Thema Geld, wie auch darüber beschwert habe, dass es gar nicht so recht zur Geltung kam, muss ich meiner großen Freude Ausdruck verleihen, dass die ganze Kryptowährungsblase kaum in Erscheinung getreten ist. Zu Recht, einer der gleichzeitig überschätztesten (hinsichtlich ihrer Vorzüge), wie unterschätztesten (hinsichtlich ihrer unzähligen, riesengroßen Probleme) Technologie wurde kein Forum geboten. Krypto ist die Perversion eines entkoppelten Geldmarktes, wenn dieser nicht an sich schon eine Perversion der Sitten und des Guten Geschmacks darstellen würde (John Kennedy-O’Toole Homage).