Achja, die re:publica. Ausverkauft mit 30.000 Teilnehmern, 800 Beiträge, alles wieder in der STATION. Was kann da schon schiefgehen? Nicht viel, aber doch einiges.
Man kann sich zum Beispiel keine Mühe geben an relativ zentralen Stellen. In dem man eine Keynote hält, die vor sich hin mäandert und nie richtig Fahrt aufnimmt. In dem man latent verwirrt und relativ desinteressiert moderiert, wie auf Bühne Eins meistens Standard. Oder in dem man beim Abschied vergisst, trotz des Themas „Who Cares“, sich bei fast allen Hilfskräften zu bedanken. Von den GebärdensprachenübersetzerInnen, zu den Caterern oder den Reinigungskräften, keine der offensichtlichen HelferInnen wurde genannt. Das wirkte hohl und abgehoben.
Auch im Programm fehlte es an echten Highlights. Wenn nicht mit schöner Zuverlässigkeit die halbe Bundesregierung erscheinen würde, wäre es noch dürftiger gewesen. Aber es fehlt nicht nur an den Menschen mit den bahnbrechenden Erkenntnissen und/oder denen die mitreißend vortragen – es fehlt vor allem an den kritischen Stimmen, die die sicheren Positionen der re:publica-crowd in Frage stellen. Wenn sie überhaupt zu finden waren, dann in Slots am Rand und auf den kleinen Bühnen.
Schon lange wirft man der re:publica gern vor im eigenen Saft zu schmoren und sich vor allem selbst zu feiern – und es stimmt auch schon lang. Aber wenn man anfängt Sascha Lobo als kritische Stimme zu vermissen, dann ist Matthäi am Letzten.
Der Relevanzstaubsauger
Lange Zeit lebte die re:publica von dem Außenseiter-Status der Digital-Checker die sich hier versammelten. In dieser vermeintlichen Führungsrolle wurde man dann böse durch den Staat rechts überholt. Erst als die Staaten des „Arabischen Frühlings“ Twitter (RIP) und Co als Fahndungstool entdeckten und spätestens als Edward Snowdon den „Full Take“ öffentlich machte. Seitdem ist die re:publica auf Identitätssuche und nahm sich einfach aller zentralen Themen des Wandels aus der Brille einer urbanen linken Bildungselite an. Soziale Ungerechtigkeit, Klimawandel, Feminismus, LGBTQi+/FLINTA/GSD, who cares? We do!
Dann kam auch noch die Pandemie um die Ecke und die re:publica hatte als Live-Format ein großes wirtschaftliches Problem. Durch diverse Hilfen und Kosteneinsparungen hat die re:publica überlebt, zum Glück und auch die beiden, etwas kleineren Post-Pandemischen Ausgaben in Kreuzberg hatten ihren Charme. Aber auch sie hatten schon die großen Highlights weggelassen, waren weniger international und hatten zudem mit zu wenig großen, halbwegs gleichwertigen Bühnen zu kämpfen. Jetzt also zurück in der großzügigeren STATION und auch die internationalen SprecherInnen waren wieder mehr.
Hygge as f*ck
Aber irgendwie fühlte es sich dieses Jahr immer noch nach Sparkurs an. Angefangen beim Event Design das so dünn war, dass es wirklich kaum etwas weg zu werfen geben dürfte. Wie auch letztes Jahr bei „Cash!“ herrschte trash-chicque. Vorbei die Zeiten von „Into the Wild“, „tl;dr“ oder „TEN/NEXT“ in denen begehbare Bilder, aufwändige Bühnen, Animationen und Musik den Vorträgen einen Rahmen gaben. Das Design-Highlight dieses Jahr: gemütliche Hängematten. Schön wenige, damit man auch drum kämpfen kann. Aber auch im Vortrag selbst hat sich etwas nicht getan. Während früher nur wenige Vortragende frei und ohne Slides sprachen (oder sprechen durften?) scheint das heute jedem und jeder frei zu stehen. Nicht immer eine gute Wahl.
Das Programm selbst hatte durchaus viel zu bieten, allerdings fehlten die echten Highlights mit VorvordenkerInnen und kritischen Geistern, die auch einmal den eigenen Kanon an Glaubenssätzen in Frage stellen. Hätte nicht zum Beispiel Slavoy Zizek längst da sein müssen, um über sein Konzept des verfehlten Absoluten zu sprechen und seiner Anschuldigung, dass in dem Erfüllungszwang einer sexuellen Identität ein kapitalistisches Moment läge? Was ist mit Thomas Piketty und der Geschichte der Ungleichheit? Oder wie wäre es mit Dr. Karen Burns und ihrer Kritik der Zuschreibung feministischer Kategorien in Konkurrenz zur Expertise? Was ist mit Jini van Rooijen und der Arbeit ihres Künstlerkollektivs, die Michel Houellebecq in einer Honeypot-Falle gefilmt haben. Wie wäre es mit Markus Brunnermeier oder Martha Nussbaum oder wie wäre es damit Joanne K. Rowling einzuladen und mit ihr eine Diskussion zu führen.
Perlentauchen
Genug gemeckert. Ja, die re:publica muss wieder wacher und selbstkritischer werden. Sie sollte mehr Anspruch an sich erheben und sich in jeder Hinsicht ernster nehmen, anstatt sich nur zu feiern. Aber es gab auch hörenswertes und sie ist und bleibt die Konferenz der man nicht fern bleiben darf, wenn man das mit dem digitalen Wandel ernst meint.
Der Vortrag von Maja Göpel sollte auf halber Geschwindigkeit ablaufen, es ist nicht leicht ihr immer zu folgen. Man muss sich Teile der Argumentation dazudenken, damit es lückenlos schlüssig wird. Schlussendlich hat ihr Gedankenstrang aber eine Struktur vorgegeben, mit der man die ganze Thematik der diesjährigen re:publica hätte logisch aufbauen können. Nämlich was der notwendige Wandel im Kern ist, ein Wertewandel, der sich in allen Regelsystemen der Wirtschaft und der Politik niederschlagen muss. Ich wünschte Frau Göpel würde mal selbst eine Tagung aufstellen.
Barbara Blaha, leitet das Momentum Institut und den Momentum Kongress, ist Universitätsrätin der Universität Wien und ist Mitgründerin des Wiener Balls der Wissenschaften. Ihr zuzuhören ist ein Genuss und ihre Message umwerfend einfach: Wandel dauert länger als man denkt, das bedeutet nicht, dass er nicht statt findet. Mein Kernsatz der re:publica stammt ebenfalls von Ihr: „Es ist immer zu früh nach hause zu gehen„. Denn erstens dauert es lange und zweitens braucht es immer Menschen die unermüdlich dranbleiben, bis es geschafft ist. Auch vom Momentum Institut, der Vortrag von Leonard Dobusch zur Benko-Pleite.
Jean Peters von Correctiv hat einen wunderbaren Vortrag über die Vorkommnisse und die Entwicklungen danach zum sog. „Geheimtreffen“ im Landhaus Adlon im Oktober letzten Jahres gehalten. Darüber weiss man einiges, denkt man. Bis man seinen Vortrag gesehen hat. Der ist witzig, informativ, spannend und ein gutes Lehrstück darüber wie Journalismus funktionieren sollte.
La Emcke was back!
Ich gebe zu, ich bin ein Emcke-Fan. Aber Carolin Emcke entwickelt sich obendrein immer weiter und ihre diesjährige „Intervention“ war so lebendig, so berührend wie nie – und so klug und sezierend wie immer. Ich habe viel gelernt und gefühlt beim zuhören, dass mir helfen wird, besser zu verstehen und zuzuhören. Es war toll.
Thomas Ramge hat eine Menge guter Bücher geschrieben, unter anderem mit Erik Spiekermann oder auch Viktor Mayer-Schönberger. Er hat 2023 einen der besten Vorträge auf der re:publica zum Thema „Longevity“ gehalten, den man hier findet. Dieses Jahr hat man ihn mit seinem Buch Solar Geoengineering in dem es um die Eindämmung der Aufheizung der Erde durch die Sonne als Überbrückungstechnologie geht (bis wir die CO2-Reduktion bewerkstelligt haben) auf der Bühne 10 am anderen Ende des Geländes geparkt. Das ist ein sehr schöner alter Ringlokschuppen mit einer historischen Lokdrehscheibe vor den Toren. Aber es ist eben auch zu diesem Zeitpunkt im Programm das Abstellgleis. Das war ganz klar ein Stage One Thema für Tag zwei. In ähnlicher Façon wurde Robert Habeck auf Bühne 6 versteckt (Video still missing). Wenn das nicht die Idee der Personenschützer des BKA war, dann frage ich mich was das soll.
Für alle die schonmal mit Menschen mit einer Störung ihrer Empathie zu tun hatten, ob es nun temporär durch Rückzug oder chronisch durch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist, es gibt tatsächlich eine App dafür! Tania Singer berichtet aus ihrer Forschung und zeigt harte Daten von wachsenden Hirnregionen. Nicht mehr die Rettung für Donald Trump, aber sicher eine Verbesserung für viele.
Und sonst?
Lauterbach das dürfte der fachlich kompetenteste Bundesminister außerhalb des auswärtigen Amtes und des Wirtschaftsressorts in meiner bewussten Lebenszeit sein. Unglaublich involviert und an vielen Themen vordenkend und gestaltend wie kaum ein anderer Minister.
Baerbock Engagiert, klug, menschlich und in allen Themen sattelfest. Keine Ahnung warum so viele Menschen sich mit unserer ersten Außenministerin schwer tun.
Gaub Kein richtig guter Vortrag von Florence Gaub von der NATO, aber ein paar gute Elemente für Leute die mit Strategie zu tun haben.
Mau Steffen Mau mit Daten und Analysen zur vermeintlichen Spaltung der Gesellschaft, die wohl doch komplexer und weniger besorgniserregend ist, als allgemein angenommen.
Beckedahl Das übliche Update zur Digitalpolitik, Pflichtprogramm.
Antifeminismus Podium zum Thema „Fake Smile – wie Antifeminismus die Demokratie angreift“ war bestürzend und die Gamerin Pia Shurjoka Scholz war extrem stark.
Also liebe re:publica: schön wars. Danke Euch fürs Kümmern! Gebt Euch bitte mehr Mühe weniger nach Flauschigkeit einzuladen, weniger bestätigende und mehr fragende Stimmen zu gewinnen. Bitte designed mal wieder eine 360 Grad Experience in der STATION, ihr konntet das soooo gut! (Ums Konzept) kümmern fetzt!