Die wahren Totengräber der freien Presse

Das Leistungsschutzrecht nähert sich nach mehr als zwei Jahren intensiver Lobbyarbeit der Verabschiedung durch den Bundestag. Es ist das Ergebnis eines beispiellosen Missbrauchs der tonangebenden Presse durch Ihre Verleger. Der bekannte Medienjournalist und Grimme-Online Preisträger Stephan Niggemeier spricht gar von einem Kartell und zeichnet die Berichterstattung, bzw. das Ausbleiben derselben hier nach.

Nur bekommen die Leser der Zeitungen das nicht mit, weil SZ, FAZ, Welt und Konsorten  treue Diener Ihrer Eigentümer sind, die kritische Stimmen gar nicht, oder nur in verkürzter Form zur Sprache kommen ließen. Dabei handelt es sich bei den Kritikern nicht um ein paar bloggende Google-Fanboys, sondern um den BDI, den Vorsitzenden der Monopolkommission und viele andere aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.  Ablesen kann man die Gemengelage zum Beispiel bei IGEL, die hier eine Liste von interessanten Beiträgen sammelt. (Disclaimer: meine Firma dpool gehört zu den IGEL-Unterstützern). Bemerkenswert ist dabei die Zahl und Güte der (freien) Journalisten die sich gegen ein Leistungsschutzrecht aussprechen!

Bemerkenswert deshalb, weil sich dadurch für Menschen wie mich, die nicht für Zeitungen arbeiten, offenbart, wie groß die Kluft zwischen Journalisten und Verlegern bereits ist, nämlich deutlich größer, als die übliche Schere zwischen Führungspersonal und Angestellten. Wenn Befürworter des Leistungsschutzrechts, wie Döpfner und Keese (beide Springer) und einige andere in der Berichterstattungsstrecke von Niggemeier, Aggregatoren und andere ähnlich gelagerte Nutzer als „Piraten“, „Raubritter“ und deren Praktiken als „stehlen“ bezeichnen, dann offenbart sich hier eine gemeinsame Sichtweise, mithin eine kollektive Identität der Verleger, die sich als bedroht, bestohlen und ausgenutzt sehen, wie Mathias Döpfner im Managermagazin 2010:

Es kann nicht sein, dass die dummen Old-Economy-Guys für viel Geld wertvolle Inhalte erstellen und die smarten New-Technology-Guys sie einfach stehlen und bei ihren Werbekunden vermarkten.

Der Springer-Chef sieht sich und seinesgleichen als Opfer und lässt im eigenen Medium berichten: „Presseverlage seien bisher die einzigen Werkvermittler, für die noch kein Leistungsschutzrecht existiere, sagte der Springer-Chef.“ Derselben Logik folgend, sollten Fernsehsender ein Anrecht auf eine angemessene Entlohnung von Programmzeitschriften fordern dürfen, die über die TV-Inhalte mit Titel, Bild und Anreißer berichten. Nur kämen die TV-Macher nicht auf die Idee, denn ihre Währung heißt Reichweite und die entsteht zum Teil durch Aggregatoren – wie im Netz auch. Das kann Döpfner und Co nicht entgangen sein, es geht also wenigstens zum Teil um die Einführung einer Rechtsfigur, eben dem Verleger, der kein Urheber ist und der nicht nur Verwerter fremder Rechte sein will, sondern einen ureigenen Anspruch per Gesetz will – und prompt auch bekommt.

Auf der anderen Seite besteht eine diametral entgegengesetzte Identität bei den new economy Unternehmen, eine (vorgebliche) post-privacy, post-copyright, „Wir-sind-die-Zukunft“-Mentalität, die sich jedoch selten der „Öffentlichkeit“, soweit sie von den Zeitungen definiert wird, erklärt. Kaum jemals wendet sich ein google-Vertreter, facebook-Gesicht oder sonst eines der generell erstaunlich Gesichts- und sprachlosen Unternehmen an die Offline-Gesellschaft. Die klassischen Medien haben es dementsprechend leicht unwidersprochen zu agitieren, denn Ihnen gegenüber steht eine Ideengemeinschaft, keine Interessenvertretung.

Der ausschlaggebende Unterschied macht sich in den angestammten Mechanismen der Republik deutlich bemerkbar: ohne den Zugang zu, bzw. der Herrschaft über die tonangebenden Presseerzeugnisse, ohne den Einfluss auf die Parteien und damit auf die Gesetzgebung, sind die Gegner des Leistungsschutzrechtes systematisch unterlegen.

Diese Einseitigkeit zu eigenen Gunsten ausgenutzt zu haben ist zunächst eine Vorteilsnahme, die dem Selbstverständnis der Presse im Kern widersprechen sollte und die es verdient den beteiligten Verlegern noch lange nachzuhängen. Es ist außerdem ein Offenbarungseid was das Verständnis vom Verhältnis von Partikularinteressen zum Gemeinwohl anbetrifft, die Verhältnismäßigkeit von Lobbyismus zur Wahrnehmung von unorganisierten Interessengruppen.

Wenn die Presse das darf, die eigentlich über die Verstrickungen der Politik im Lobbyismus berichten und diese offenlegen soll, wer schützt die Demokratie dann noch vor dem Filz? Aus genau diesem Grund war die Rede von der „vierten Gewalt“ immer schon eine optimistische Übertreibung, denn die Presse unterliegt eben keiner wirksamen Kontrolle. Wenn sie es täte, dann hätte der vorliegende Fall der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, der gezielten Auslassung von abweichenden Meinungen, der Diffamierung und Unterlassungen diese Kontrollmechanismen sichtbar machen müssen.

Vielmehr haben sich die Verleger, zu recht wie sich nun zeigt, in Sicherheit gewogen, denn nur eine Minderheit wird Artikel, wie die von Niggemeier und den vielen anderen die bei IGEL, Carta, Netzpolitik.org und sonst wo zu finden sind, wahrnehmen. Und die Aufregung würde sich auch nur zum Teil lohnen, ginge es hier nur um eine (in ihrer Wirksamkeit zweifelhafte) Ertragsquelle für die Verfechter dieses Gesetzes, oder gar die Herstellung einer Art von Gerechtigkeit, was die Rechte an der Verwertung von Presseerzeugnissen anbetrifft. In Wirklichkeit geht es darum, dass das Beispiel zeigt, dass Gesetze von Lobbyisten gemacht werden können, ohne das die Presse dies aufdeckt, sobald es den Verlegern nutzt. Jeder andere Interessenverband wird in Zukunft gegenüber der Presse auf diesen Sündenfall hinweisen können.

Gerade in der aktuellem Debatte haben Verleger immer wieder gern daraufhingewiesen, dass für die Presse wegen ihrer Rolle in der Gesellschaft andere Regeln gelten müssen. Im  Umgang mit dem Leistungsschutzrechtes haben sie bewiesen, dass mit dieser Sonderbehandlung nicht der Erhalt der Pressefreiheit gemeint ist, sondern diese leichtfertig für die Durchsetzung einer protektionistischen Gesetzgebung mit dem Ziel der Subvention missbraucht wird.

Das ist im Grunde nicht erst seit Chomsky (siehe unten) old news, aber es wird so lange nicht aufhören weh zu tun, wie es keine freie Presse gibt, der ein Großteil der Gesellschaft vertrauen kann, auch und gerade wenn es um ihre eigenen Belange geht. Wie das Beispiel des Leistungsschutzrechtes auf erschreckende Weise zeigt, kann die Presse nur frei sein, wenn sie sich der gezielten politischen Einflussnahme der Verleger in eigener Sache verwehrt.

Noam Chomsky: Manufacturing Consent

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