Die tägliche Freiheit

(c) Ricco2001: Ausgang Freiheit, Notausgang Unfreiheit?

Ich glaube, ich würde die Freiheit in jeder Epoche der Geschichte geliebt haben, aber in den Zeiten, in denen wir heute leben, bin ich bereit, sie inbrünstig zu verehren.
(Alexis de Tocqueville)

Unternehmen entstehen rund um Unternehmer, Initiativen haben Initiatoren, Organisationen haben Organisatoren. Soweit, so selbstverständlich. Im Zuge des Erfolgs geschieht aber erstaunlich oft ein Unglück: die treibende Person hat nicht gelernt vertrauensvoll zu führen und kann nur in Situationen arbeiten, die sie auch selbst kontrolliert.

Ich habe das in vielen Beispielen, von Stiftungen über Unternehmen zu öffentlichen Einrichtungen aus nächster Nähe erlebt. Der Satz „wenn man will das etwas richtig gemacht wird, muss man es selber machen“ ist das Mantra vieler Kontrollfanatiker. Darin steckt die widersinnige Überzeugung, dass alle anderen nicht in der Lage sind besser als man selbst zu arbeiten. Welchen Grund gäbe es dann jemals einen anderen einzustellen oder zu beauftragen?

Tatsächlich ist es umgekehrt: wer nicht bereit ist anderen sein Vertrauen zu schenken und sie auch bei Misserfolgen zu unterstützen, wer seine Partner nie machen lässt, der wird nie wertvolle Hilfe bekommen die den eigenen Ansprüchen entspricht, geschweige denn diese übertrifft. Jedes mal wenn man einem Mitarbeiter oder Dienstleister die Verantwortung systematisch entzieht und ihn zum Werkzeug degradiert, nimmt man ihm auch die Möglichkeit eine Arbeit besser zu machen als man selbst.

Damit wird jeder Spezialist unbrauchbar, jeder Zeitvorteil der durch delegieren entstünde wird systematisch zunichte gemacht, jeder Qualitätsmaßstab bleibt Geschmacksache und nicht abstrahier- und dadurch delegierbar. Alle bleiben so unter ihren Möglichkeiten, Mutlosigkeit und Mittelmaß machen sich breit, eine Atmosphäre der Resignation und der Abgabe der Verantwortung greift um sich.

Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung: die Person im Mittelpunkt bleibt unersetzlich, auch dort wo sie es nicht sein müsste. Der Frust über die eigene Überlastung durch die relative Nutzlosigkeit der in die Unselbstständigkeit gezwungenen Mitmenschen wird immer erdrückender, bis zum Zusammenbruch oder wenigstens bis zur Stagnation.

So vegetieren unzählige Unternehmen dahin, aber auch viele öffentliche Einrichtungen verströmen den Gestank von Menschen die jeden Tag in einer Arbeitssituation vor sich hin funktionieren, in der ihnen nichts zugetraut wird und sie sich selbst nichts mehr zutrauen. Jeder weiß das Kinder in so einer Situation der Unfreiheit nicht wachsen können, aber wenn es um Erwachsene geht ist das anscheinend OK. „So ist das halt in Deutschland: 80 Millionen Automaten und 3-4 Millionen Leistungsträger, wenn überhaupt“ scheinen sich viele vom Erfolg verbildete zu denken.

Aber Freiheit ist nicht nur ein Thema für Sonntagsreden und Philosophieseminare: Freiheit ist eine Voraussetzung für Exzellenz, für Entwicklung und Entfaltung und damit für das Glück schlechthin. Die alltägliche Freiheit zu nehmen ist ein Verbrechen an sich selbst, an der gesellschaftlichen Verantwortung, aber auch an den Menschen mit denen man sich umgibt. Freiheit ist ein Kerninhalt unserer europäischen Identität der jeden Tag und in jeder Situation behauptet werden will und verteidigt werden muss, weil wir das uns selbst und allen anderen schulden, zu denen wir die Unfreiheit exportiert haben.

Der deutsche Manager der die Verhältnisse in China für die einzig denkbaren hält, baut unseren Wohlstand auf deren Unfreiheit auf. Der Unternehmer der seine Mitarbeiter nicht zur Entfaltung kommen lässt, schwächt auch unsere Kreativität und Leistungsfähigkeit. Der Politiker (und der Wähler hinter ihm) der immer mehr regulieren will nimmt unserer Gesellschaft Spielräume und Reaktionsfähigkeit.

In einem Land in dem Eigeninitiative nicht mehr begrüßt wird, ist Fremdbestimmung bald unausweichlich.

Wir sollten nicht aufhören diese kranken Situationen im Kleinen wie im Großen zu bekämpfen und Freiheit zu fordern, egal wo uns solche Control Freaks begegnen, denn sie nützen niemanden, nicht einmal sich selbst. Der Erfolg, liebe Unternehmer/Initiatoren/Organisatoren, gibt jedem zu bereitwillig recht, um als Rechtfertigung für alles und jedes herhalten zu können. Im Gegenteil, er ist kein guter Lehrmeister, wie es bei Titus Livius heisst:

Eventus stultorum magister est.
(Der Erfolg ist der Lehrer der Toren.)

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